Lange Zeit wurde im Recruiting vor allem auf Hard Skills geachtet. Die Qualifikationen und Erfahrungen, die sich dem Lebenslauf entnehmen ließen, waren damit die wichtigste Entscheidungsgrundlage in Bewerberauswahlprozessen. Klar, sie waren ja auch am Leichtesten zu identifizieren und standen schwarz auf weiß auf Bewerbungsschreiben und Zeugnissen. Belegbar. Nachvollziehbar. Überprüfbar. Check, check, check. Soft Skills waren zwar immer schon bekannt, führten aber ein Schattendasein, da sie wesentlich schwieriger zu quantifizieren bzw. zu beurteilen sind. Ein diffuses Fluidum an Eigenschaften, eine ephemere Wolke an Fähigkeiten, amorph und dynamisch statt klar abgegrenzt und unveränderlich – kurzum: schwierig zu kontrollieren und damit ein Schreckgespenst für alle, die damit zu tun hatten.
Aber die Zeiten haben sich geändert. Wurde früher knallhart aussortiert, wenn die Hard Skills nicht zu 100% passten, so wird heute vor dem Hintergrund eines enormen Fachkräftemangels einerseits, aber auch eines massiven Paradigmenwechsels und einer ebensolchen Wertverschiebung andererseits der Fokus verlagert.
Sozialkompetenzen beispielsweise gewinnen in Hinblick auf Inklusion und Wertschätzung zunehmend an Bedeutung. Dabei lautet die Devise natürlich nicht "Entweder oder" wenn es darum geht, eine Bewertung der beiden Skillkategorien vorzunehmen. Soft Skills haben vielmehr das Potenzial, die fachlichen Qualifikationen zu ergänzen, sodass der arbeitende Mensch noch effektiver und produktiver zum Unternehmenserfolg beitragen kann.
Die Bedeutung von Soft Skills
Kaum verwunderlich also, dass laut einer Studie von LinkedIn 92% der Personalverantwortlichen der Meinung sind, dass mittlerweile Soft Skills genauso wichtig oder wichtiger sind als Hard Skills, wenn es um die Einstellung von Mitarbeitern geht. In der gleichen Studie gaben übrigens 80% der Unternehmen an, dass sie Schwierigkeiten hatten, Kandidaten mit den erforderlichen Soft Skills zu finden – womit diese Skills mittlerweile zu einer ebenso gesuchten wie wertvoll gehandelten Währung geworden sind, wie ehedem die Hard Skills.
Aus der Studie "The 'IKEA Effect': When Labor Leads to Love" von Norton, Mochon und Ariely (2012) geht hervor, dass Soft Skills wie Zusammenarbeit und Teamarbeit zu höherer Wertschätzung für das gemeinsam geschaffene Produkt führen. Teilnehmer, die ein IKEA-Möbelstück zusammengebaut hatten, beurteilten den Wert des Produkts höher ein als andere, die das fertige Möbelstück erhielten. Soft Skills – quasi der Imbus-Schlüssel für mehr Arbeitszufriedenheit und Wertschöpfung in Organisationen.
Noch ein Hard Fact: in "The Surprising Impact of Soft Skills on Project Success" aus 2010 analysierten Müller und Turner 84 erfolgreiche IT-Projekte und stellten fest, dass Soft Skills wie Kommunikation, Konfliktlösung und emotionale Intelligenz für den Projekterfolg wichtiger sind als technische Kompetenzen. Überraschenderweise zeigte die Studie, dass Projektleiter mit höheren Soft Skills eine um 35% höhere Erfolgsrate hatten als solche mit starken Hard Skills allein.
Tatsächlich sind Soft Skills heute unerlässlich, um in einer zunehmend vernetzten und globalisierten Welt erfolgreich zu sein, wo mehr Flexibilität, Einfühlungsvermögen und Anpassungsfähigkeit denn je gefragt sind. Grob lassen sich die Kompetenzen in 4 Bereiche unterteilen. Zum einen die persönlichen. Sie sind Teil der angeborenen Persönlichkeitsstruktur, können durch Erfahrungen aber akzentuiert und ausgebaut werden. Dazu zählen etwa Fähigkeiten wie Neugier, Flexibilität, Lernbereitschaft, Selbstmotivation, Selbstbewusstsein und -disziplin, Engagement und Ehrgeiz. Dann die sozialen Kompetenzen, die im Umgang mit anderen Menschen zum Einsatz kommen. Sie entscheiden darüber, wie positiv oder angenehm die Zusammenarbeit empfunden wird. Beispiele sind Menschenkenntnis, Kritikfähigkeit, Umgangs- bzw. Führungsstil, Durchsetzungsvermögen, Kommunikationsfähigkeit und Ausdrucksweise, Belastbarkeit, Empathie und Konfliktlösungsvermögen. Drittens die methodischen Kompetenzen. Das ist die Fähigkeit, gewisse Fertigkeiten zu erwerben, um Probleme besser lösen zu können. Medienkompetenz, Zeitmanagement, Auffassungsgabe und Präsentationstechniken zählen etwa dazu.
Und der 4. Bereich? Er betrifft die Führungskompetenzen, die gerne gesondert gesehen und dementsprechend singulär geclustert werden, da das Prinzip der Führung in einer hierarchisch angelegten Organisationsstruktur nun mal einen integralen Stellenwert mit Multiplikatorfunktion einnimmt bzw. einnehmen muss.
Blinde Flecken, Schiffskapitäne & Co
In einer Aufsehen erregenden Studie der Universität Bielefeld sollten Probanden zunächst einen fest vorgegebenen Text, den Wetterbericht (!), laut vorlesen. Dabei wurden sie unwissentlich von einem anderen Probanden beobachtet. Der Beobachter sollte nun einschätzen, wie intelligent der vorlesende Proband ist. Das erstaunliche Ergebnis: Der beobachtende Proband konnte die Intelligenz besser einschätzen als der vorlesende Proband, der sich selber einschätzen musste.
Was lernen wir daraus? Wir sind verblüffend schlecht darin, uns selber einzuschätzen. Unserer Wahrnehmung bleibt vieles verborgen – während es für Außenstehende häufig deutlich sichtbar ist (die Differenz wird als Wahrnehmungs-Delta bezeichnet). In der Psychologie nennt man dieses Phänomen "Blinde Flecken". Diese verborgenen Prozesse in Einzelpersonen aber auch in Teams bewusst zu machen – das ist eine der Rollen, die Führungskräfte in Zeiten von New Work übernehmen müssen bzw. einer der wohl wichtigsten Soft-Skills. Die Führungskraft muss als Coach blinde Flecken aufdecken, um die realen Gegebenheiten bestmöglich identifizieren und optimieren zu können, konkret also den Horizont von Mitarbeitenden zu erweitern und deren Entwicklung voranzutreiben. Ein mächtiger Hebel, durch den erst grundlegend Neues entstehen kann.
Neben dieser Rolle nehmen Führungskräfte eine weitere zentrale Stellung ein. Man stelle sich vor, die Organisation wäre ein Schiff auf hoher See. Welche Rolle hätten dann Führungskräfte auf diesem Schiff? “Kapitän” würden wohl die meisten spontan sagen, andere vielleicht “Steuermann, der die Richtung vorgibt”. Beides ist sicherlich nicht falsch, aber eine andere Antwort wäre adäquater: Führungskräfte sind die Designer des Schiff. Nur sie können beeinflussen, ob es sich bei dem Schiff um einen schweren Tanker oder eine agile Motoryacht handelt – indem sie eine entsprechende Kultur vorleben und so etablieren.
Jetzt werden einige fragen: Aber eine Führungskraft muss doch ihr operatives Kerngeschäft erfüllen – wie soll sie dann noch die Unternehmenskultur gestalten? Antwort: ihr operatives Kerngeschäft ist die Führung beziehungsweise die Beratung der Mitarbeitenden. Eine beratende Führungskraft sieht einen klaren persönlichen Sinn in ihrer Arbeit und identifiziert sich stark mit der Vision ihres Unternehmens. Sie weiß außerdem, dass ihr Team die wichtigste Ressource ist, um diesen persönlichen Sinn und die Vision zu erreichen, wie ich in einem meiner Blogs bereits näher ausgeführt habe, nachzulesen hier. Die logische Konsequenz daraus: die Führungskraft konzentriert sich darauf, die eigenen Mitarbeitenden in ihren Tätigkeiten zu beraten und ihnen das optimale Umfeld für erfolgreiches Arbeiten zu ermöglichen.
Coachen, designen und beraten – so könnte man das Triptychon einer vorbildlichen Führungskompetenz skizzieren. Das wichtigste Soft Skill aber ist die Demut. Demut? Genau: gefragt sind nicht narzisstische Brusttrommler, die ihre Führungserfolge lautstark für sich in Anspruch nehmen. Sondern Führungspersönlichkeiten, die auf den ersten Blick gar nicht als Verursacher des Erfolgs erkennbar sind. Oder um mit Laotse zu sprechen: “Die besten Anführer sind die, von denen – wenn sie ihre Aufgabe vollendet haben – alle Menschen sagen: ‘Wir haben es selbst getan.’”
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