Ein effizienter Bewerbungsprozess ist sowohl für den Kandidaten als auch für das ausschreibende Unternehmen eine große Herausforderung. Auf Unternehmensseite werden für eine beträchtliche Zeit Ressourcen gebunden, man zerbricht sich die Köpfe über optimale Strategien und Kommunikationskanäle, Kosten entstehen und am Ende ist die vakante Position bestmöglich besetzt. Oder eben nicht, dann muss man nachbessern oder von vorn beginnen – und schon bleibt die Effizienz auf der Strecke. Ein Grund dafür könnte sein, dass man der Candidate Journey nicht genug Aufmerksamkeit gewidmet hat, um sie adäquat zu optimieren. Denn der Weg, den jemand im Bewerbungsprozess durchläuft, ist mit einigen neuralgischen Touchpoints gepflastert, die in Summe die Candidate Experience ausmachen. Wenn diese Berührungspunkte von den (potentiellen) Bewerbern nicht positiv konnotiert werden, wirkt sich das unmittelbar auf die Erfolgschancen aus, die gesteckten Ziele zu erreichen: eine niedrige Abbruchquote, die emotionale Bindung des Kandidaten und ein positives Image (siehe dazu auch meinen Blog zu Employer Branding). Alle diese Punkte tragen letztlich zu einem signifikanten Wettbewerbsvorteil am Arbeitgebermarkt bei.
Das Candidate Experience Management
Seit Unternehmen zunehmend Schwierigkeiten haben, geeignete Bewerber zu finden, rückt die Arbeitgeberattraktivität im Allgemeinen und insbesondere die Wirkung des Rekrutierungsprozesses auf die Bewerber in den Vordergrund. Daraus leitet sich das Candidate Experience Management ab. Als Vorlage dient das Customer Experience Management, das im klassischen Marketing schon seit Jahrzehnten erprobt ist. Hier wie dort werden Erfahrungen und Eindrücke während des Prozesses betrachtet, um daraus Optimierungen für ein noch besseres Erlebnis abzuleiten. Wichtigste Grundvoraussetzung ist das Festlegen zentraler KPIs, anhand derer man Bewegungen, Veränderungen und Entwicklungen messen kann. Hier ein paar Beispiele.
Channel Effectiveness: Wie oft und wie lange wird eine Anzeige auf bestimmten Kanälen angesehen? Wie oft wird der Bewerben-Button angeklickt?
Time-to-Interview: Wie viel Zeit vergeht vom ersten Kandidatenkontakt (z.B. via Stellenausschreibung oder Direktansprache) bis zum Vorstellungsgespräch?
Time-to-Hire: Wie viel Zeit vergeht vom Kandidatenerstkontakt bis zur Stellenbesetzung? Sind Time-to-Interview und Time-to-Hire sehr lang, deutet das auf einen zu langwierigen Bewerbungsprozess hin.
Candidate Satisfaction: Wie zufrieden sind die Kandidatinnen und Kandidaten mit dem Bewerbungsprozess?
Offer-Acceptance-Rate: Wie viele Bewerbende erhalten ein Stellenangebot und wie hoch ist der Anteil der Personen, die den Job annehmen?
Hiring Manager Satisfaction: Wie zufrieden sind die Hiring Manager mit dem Recruitingprozess? Auch das ist ein Indiz für Optimierungsbedarf.
Frühfluktuation: Wie viele neu eingestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verlassen das Unternehmen in der Probezeit?
Für die Optimierung der Candidate Journey sollten zunächst sämtliche Kontaktpunkte aufgestellt werden, die der Bewerber mit dem Unternehmen hat. Um die Erfahrung auf jeder Etappe zu verbessern, wird die Sicht des Kandidaten eingenommen. Die möglichen Wünsche, Ängste und Bedürfnisse der Bewerber entscheiden darüber, wie der Kontakt an den einzelnen Punkten, ob im persönlichen Bewerbungsgespräch oder beim unpersönlichen E-Mail-Verkehr, gestaltet wird. Es gilt, die eigenen Mitarbeiter für das Vorhaben zu sensibilisieren, um sie als authentische Multiplikatoren zu nutzen. Die einzelnen Abläufe des Recruitingverfahrens sollten getestet werden, um mögliche Schwachstellen zu identifizieren. Dies gilt auch besonders für das Talent Relationship. Hier wird eine noch engere Bindung zwischen dem Unternehmen und den potentiellen Mitarbeitern aufgebaut.
Eine exemplarische Journey
1. Anziehungs-Phase
In der ersten Phase der Candidate Journey geht es darum, die Aufmerksamkeit potenzieller Bewerber auf sich zu ziehen. Das gelingt mittels einer durchdachten Employer-Branding-Strategie, die das Unternehmen als attraktiven Arbeitgeber am Markt positioniert. Ein ausführliches Unternehmensprofil auf beliebten Arbeitgeber-Bewertungsportalen wie Kununu könnte ebenso ein Teil davon sein wie kreative Viral-Videos, regelmäßige Sponsoring-Aktivitäten, ein attraktives Arbeitgeberportal, Auftritte bei Karrieremessen und dann natürlich die ganze Social Media-Bubble und Search-Engine-Optimierung.
2. Informations-Phase
In dieser Phase ist es wichtig, den anonymen Besucher zu identifizieren und ihn dazu zu bringen, dass er seine Kontaktdaten hinterlässt. Üblicherweise führt der Weg über die Karriereseite der Unternehmenswebsite. Sie sollte durch Professionalität, Konsistenz und Attraktivität überzeugen und die positiven Eindrücke des Erstkontakts bestätigen. Auch Mitarbeiter-Stories und Newsletter können Einblicke in das Unternehmen verschaffen und so zur Meinungsbildung- und Verfestigung beitragen.
Befinden Sie sich in einem engen, bewerberumkämpften Umfeld fällt die Wahl meist auf die Direktansprache. In diesem Fall übernimmt der externe Personalberater als Speerspitze Ihres Unternehmens auch die wichtige Aufgabe der Unternehmenskommunikation.
3. Bewerbungs-Phase
Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Nach ausgiebiger Recherche zum Arbeitgeber klicken Sie in der LinkedIn Stellenausschreibung auf „bewerben“ und werden auf die Karriereseite des Unternehmens weitergeleitet. Dort werden Sie aufgefordert, ein Profil anzulegen und alle Ihre Unterlagen wie Lebenslauf und Anschreiben in PDF-Form hochzuladen. Zusätzlich müssen Sie alle Daten nochmals händisch übertragen, da nicht alle Daten aus Ihrem Lebenslauf korrekt übernommen wurden. Klingt umständlich? Ist es auch. Und führt im Zweifelsfall dazu, dass der Bewerber den Prozess abbricht und sich gar nicht erst bewirbt. Ist die Bewerberoberfläche allerdings attraktiv und intuitiv gestaltet, bewirbt sich der qualifizierte Kandidat eher.
4. Auswahl-Phase
Die engmaschige, transparente und persönliche Kommunikation mit den Bewerbern ist in dieser Phase entscheidend. Ist die Einladungsmail zum Vorstellungsgespräch beispielsweise freundlich formuliert, hat der Bewerber von Anfang an ein positives Gefühl. Auch die Art und Weise, wie der Empfang vor Ort gestaltet wird, beeinflusst die Candidate Experience.
Schlussendlich geht es in dieser Phase darum, dem Bewerber ein professionelles Bild des Arbeitgebers zu vermitteln – unabhängig davon, ob er letztlich für die Position ausgewählt wird oder nicht.
Final Step: Onboarding. Welche Erfahrungen neue Mitarbeiter während der Candidate Journey gemacht haben, wirkt sich direkt auf die Onboarding Journey aus. Wie sie diese wahrnehmen, wirkt sich wiederum direkt auf die Employee Experience aus und definiert, wie motiviert und nachhaltig sich neue Mitarbeiter im Unternehmen einbringen.
Gender-Disclaimer
Die auf dieser Website gewählte generisch-männliche Form bezieht sich immer auch auf weibliche und diverse Personen.
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