Wer sich ein wenig Zeit nimmt und den Markt durchleuchtet, wird erstaunt sein, was da mittlerweile an KI-Tools angeboten wird. Benötigten Webdesigner beispielsweise früher Wochen für die Erstellung einer Website, so lassen sich mittlerweile ganz passable Ergebnisse einfach auf Knopfdruck erzielen. Ein Buch kann plötzlich im Handumdrehen geschrieben werden – gänzlich ohne Talent, sondern nur mit den richtigen Prompts. Es zeigt auf beeindruckende Weise, wie sehr die Künstliche Intelligenz mittlerweile im Begriff ist, unser (Wirtschafts-)Leben zu beeinflussen – oder, anders bewertet – zu infiltrieren. Kaum ein Bereich, der nicht diese neue technologische Errungenschaft nutzt. Auch im Recruiting wird natürlich seit einigen Jahren versucht, daraus Kapital zu schlagen. Spielte die KI anfänglich nur eine untergeordnete Rolle, so ist sie mittlerweile integraler Bestandteil vieler HR-Strategien. Durch ihre Fähigkeit, sich exponentiell weiter zu entwickeln, wird diese Tendenz noch weiter an Dynamik gewinnen, sodass 2025 wohl kein Weg mehr daran vorbeiführt.
KI weiter auf dem Vormarsch
Bereits die Art und Weise wie Personalvermittler mit Kandidaten in Erstkontakt treten, wird sich aufgrund des sprachbasierten Vorscreenings mit KI grundlegend verändern. Interviews oder Screening-Anrufe mit Kandidaten werden automatisiert durchführt, ihre Antworten auf wichtige Fragen analysiert und umfassende Einblicke und Bewertungen auf der Grundlage der Angaben geliefert. Dadurch müssen Interviews im Frühstadium nicht mehr manuell durchgeführt werden, was viel Zeit spart und dennoch eine gründliche Beurteilung jedes Bewerbers gewährleistet.
Auch die Betrugserkennung bekommt eine ganz neue Dimension. Kleinere oder größere "Optimierungen" des Lebenslaufs und der Qualifikationen werden seitens der Bewerber nun mittlerweile auch automatisiert, schließlich nutzen auch sie die Vorteile der KI. Und weil diese Optimierungen nun immer ausgefeilter werden, wird es auch immer schwieriger, ihnen auf die Schliche zu kommen. Auch da muss dann wieder die KI ran, heißt: Tools, die Betrug erkennen und Authentizität sicherstellen, werden eine entscheidende Rolle spielen, sodass Hintergrundüberprüfungen und Kandidatenverifizierungen zu einem wichtigen Teil der täglichen Aufgaben eines Personalvermittlers werden. Katz und Mausspiel 2.0 sozusagen.
Betrug mal außen vor gelassen: KI revolutioniert grundsätzlich, wie sich Kandidaten auf Stellen bewerben, sodass das Bewerbungsvolumen beispiellose Ausmaße erreichen könnte. Was einst ein überschaubarer Bewerberansturm war, wird sich zu Hunderten automatisierter Bewerbungen entwickeln und die Personalvermittler vielerorts überfordern, die nun viel Zeit damit verbringen müssen, einen Berg von Bewerbungen zu filtern. Ermöglicht wird dieser Zustrom durch die Leichtigkeit, mit der sich Kandidaten mithilfe von KI-Tools und automatisierten Bots auf mehrere Stellen gleichzeitig bewerben können. Wer von den Recruitern hat sich noch nicht über Bewerbungen geärgert, die so diametral vom Kandidatenprofil entfernt waren wie Nord- und Südpol. Und trotzdem muss man sich damit auseinandersetzen. Im besten Fall noch eine möglichst personalisierte Absage schicken. Das kostet Zeit.
Auch bei den Kandidaten hinterlässt der "Automatisierungsoverflow" seine Spuren. Wenn die Posteingänge mit automatisierten E-Mails, Textnachrichten und LinkedIn-Nachrichten von Recruitern überflutet werden, beginnen Kandidaten, diese Nachrichten wie Spam oder unerwünschte „unbekannte Anrufer“ zu behandeln, die unpersönlich und oft irrelevant sind. Das Ergebnis ist ein wachsendes Gefühl des Desinteresses bei den Kandidaten die Kontaktaufnahme durch Personalvermittler ignorieren oder vollständig ablehnen, weil sie davon ausgehen, dass es sich nur um eine weitere von der KI generierte, unpersönliche Nachricht handelt. Infolgedessen müssen Personalvermittler ihre Art der Kontaktaufnahme mit Kandidaten überdenken und sich von der massenhaften, unpersönlichen Kommunikation hin zu kreativeren und bedeutungsvolleren Interaktionen bewegen.
Zusammenfassend findet KI zum jetzigen Zeitpunkt in folgenden Einsatzgebieten der HR Anwendung:
Ermittlung von Personalbedarf: Anhand früherer Daten ist es KI-Systemen möglich, den aktuellen und an die Jahreszeit oder an die Verkaufszahlen angepassten Personalbedarf zu ermitteln. Diese Systeme lernen aus Datensätzen aus der Vergangenheit.
Erstellung von Anforderungsprofilen: Anhand früherer Anforderungsprofile oder Profilen von ehemaligen Mitarbeitern können KI-Systeme ein an alle Aufgaben angepasstes Anforderungsprofil erstellen.
Active Sourcing: Die Suche und Ansprache geeigneter Kandidaten lässt sich zumindest teilweise an KI-Systeme übergeben.
Vorselektion: Durch vorgegebene Kriterien können eingehende Bewerbungen eingegrenzt und vorselektiert werden, sodass ungeeignete Kandidaten erst gar nicht auf dem Tisch des Recruiters landen.
Analysen: Bei Assessment Centern und Interviews können KI-Systeme Unterstützung bei der Analyse der Gespräche leisten.
Effizienz wird zum Gebot der Stunde
Automatisierung dient auch – wenn nicht sogar prioritär – dem Zweck, die Effizienz und Produktivität zu steigern. Aufgrund der vielseitigen Herausforderungen für die Wirtschaft im Allgemeinen und die Unternehmen im Besonderen – Stichwort Steuerbelastung, höhere Zinsen, drohende Budgetkürzungen, Insolvenzgefährdungen – wird Effizienz für Unternehmen weiterhin Vorrang vor schnellem Wachstum haben. Dieser Trend wird die Rekrutierungsstrategien und -budgets natürlich maßgeblich beeinflussen. Von den Talentakquise-Teams wird aber dennoch erwartet, dass sie trotz potenziell schrumpfender Ressourcen weiterhin Ergebnisse liefern. Der Fokus wird sich weiter darauf verlagern, Kosten zu senken, wo immer möglich, Prozesse zu optimieren und die Produktivität zu maximieren, ohne dabei die Qualität der Neueinstellungen zu beeinträchtigen. Fazit: vorhandene Talente, Tools, Strategien und Arbeitsabläufe werden genau unter die Lupe genommen werden müssen, um Bereiche zu identifizieren, in denen Automatisierung, Technologie oder Prozessverbesserungen den Unternehmen große Vorteile bringen können.
Faktor Mensch
Was uns wieder zum Faktor Mensch in einem zunehmenden Automatisierungskontext bringt. Man könnte ja vorschnell die Befürchtung äußern, dass der Mensch zunehmend wegrationalisiert würde. Genau das Gegenteil ist aber der Fall, wie ich schon in einigen meiner Blogs ausgeführt habe. Da KI in der Lage ist, viele der Inhalte und die Reichweite zu reproduzieren, auf die sich Personalvermittler bisher verlassen haben, wird die menschliche Note den größten Unterschied machen. Aus meiner Sicht erfolgt dies in zwei Ausprägungen: eine marketingtechnische und eine psychologische. Das sogenannte Personal Branding wird für Personalvermittler immer wichtiger. Der Recruiter/Vermittler/Headhunter muss in seine eigene Marke investieren, heißt: sie auf- und ausbauen. Zweitens: er muss ein ganz spezielles Fingerspitzengefühl entwickeln, wie man mit Kandidaten umgeht. Denn Kandidaten, die von einer Flut von KI-Nachrichten überwältigt werden, suchen jetzt schon nach echteren, authentischeren Interaktionen. Recruiter und Headhunter, die in den Aufbau und die Pflege einer starken persönlichen Marke investieren und eine persönlichere, psychologisch fundierte Ansprache nutzen, werden sich daher von der Flut automatisierter Nachrichten abheben und einen dementsprechenden Marktvorteil generieren können.
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