Ein französischer Spitzenmanager in einem japanischen Unternehmen – kann das gutgehen? Ich erinnere mich, dass diese, auf den ersten Blick vielleicht etwas provokante Frage, vor Jahren einmal bei einem Dinner aufgekommen ist, das ich mit internationalen Führungskräften hatte. Der Kontext war wohl das Thema Globalisierung in der Arbeitswelt versus länderspezifische Arbeitsmentalität. Gibt es vor dem Hintergrund der Globalisierung also so etwas wie einen universellen, einheitlichen Führungs-Spirit, zumal viele Spitzenleute in den selben Elite-Schmieden ausgebildet werden bzw. Zugang zum selben Wissen haben – oder fließen doch mehr oder weniger stark Mentalitäten, Wertewelten und Haltungen in den Arbeitsalltag ein, die im Zusammenhang mit ganz bestimmten Regionen, Ländern etc. stehen? Wie weit darf man in dieser Differenzierung überhaupt gehen, ohne in ein ethisch fragwürdiges Fahrwasser zu geraten? "Vorurteile und Stereotypen" mögen die einen skandieren. "Blödsinn" sagen die anderen, "natürlich spielen nationale Unterschiede eine Rolle, mehr noch: sogar die Unternehmen in ein und demselben Land weisen unterschiedliche Working-Cultures auf, ganz zu schweigen von den unterschiedlichen Persönlichkeiten der Führungskräfte selbst, die Auswirkungen auf die jeweilige Führungskultur haben". Klar ist jedenfalls: als international agierender Headhunter habe ich mich immer schon mit diesem Themenkomplex auseinandergesetzt – schließlich gilt es ja, den besten Bewerber für ein Unternehmen zu finden. Und da ist das richtige Mindset des Kandidaten für den optimalen Match von noch größerer Bedeutung wie andere, offensichtlichere, Qualifikationen – zumal es da auf besonders viel Fingerspitzengefühl und psychologische Erfahrung ankommt, um teils verborgene oder gut getarnte Kriterien zum Vorschein zu bringen.
Andere Länder, andere Arbeitsethik
Die skandinavischen Staaten gelten als Vorreiter einer Arbeitskultur, die stark auf das Gleichgewicht zwischen Beruf und Privatleben ausgerichtet ist. Schweden, Dänemark und Norwegen stehen weltweit an der Spitze, wenn es um Lebenszufriedenheit und eine gesunde Work-Life-Balance geht. Das liegt an ihren flexiblen Arbeitsstrukturen, umfassenden Elternzeitregelungen und einem gut ausgebauten sozialen Sicherungssystem. In Schweden spielt etwa das Konzept des "Lagom" – sinngemäß "genau richtig” – eine wichtige Rolle. Dieser Ansatz in der Arbeitswelt setzt auf eine ausgewogene Balance, bei der die Mitarbeiter produktiv sein können und gleichzeitig Zeit für persönliche Erholung haben. Gängige Elemente wie flexible Arbeitszeiten und die Möglichkeit zur Arbeit von zu Hause aus fördern die Eigenverantwortung und Effizienz der Mitarbeiter.
Eine weitere Besonderheit in Skandinavien ist der starke Fokus auf das Wohl der Mitarbeiter. Viele Unternehmen investieren in Gesundheitsprogramme, bieten beispielsweise finanzielle Unterstützung für Fitnessmitgliedschaften, Beratungen für mentale Gesundheit oder Fortbildungsoptionen an. Ziel ist es, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das die berufliche Leistung ebenso wie das persönliche Wohlbefinden der Angestellten fördert. Außerdem zeichnen sich skandinavische Unternehmen häufig durch flachere Hierarchien aus, die die Kommunikation innerhalb des Teams erleichtern und eine vertrauensvolle Atmosphäre schaffen. Die Mitarbeiter fühlen sich dadurch stärker mit den Zielen ihres Unternehmens verbunden, was den Teamgeist und die Motivation stärken kann.
Auf der anderen Seite des Spektrums steht Japan. Der Begriff "Karoshi" wird häufig verwendet, um die japanische Arbeitskultur zu definieren: Tod durch Überarbeitung. Diese Kultur ist geprägt von überlangen Arbeitszeiten, die oft weit über die vertraglich vereinbarten Stunden hinausgehen. Laut OECD arbeiten Japaner jährlich durchschnittlich um beachtliche 348 Stunden mehr als Deutsche, die ja auch nicht gerade als Faulenzer verschrien sind. Dabei gelten Arbeitsengagement und Loyalität als Maßstab dafür, wie wertvoll ein Mitarbeiter für ein Unternehmen ist. Der Wille zur Leistung treibt mitunter auch seltsame Blüten. So entstand beispielsweise ein eigener Wirtschaftszweig, in dem Unternehmen jemanden dabei unterstützen, den Eindruck eines besonders beschäftigten und gestressten Menschen zu erwecken. Auch gibt es eigenes Wort für "so tun als ob man beschäftigt sei". Kurzum: (scheinbare) Produktivität zum Wohle der Gemeinschaft über alles!
Kein Wunder, dass japanische Firmen meist hierarchisch stark strukturiert sind, wobei jede Stufe klar voneinander getrennt ist und der Respekt gegenüber erfahrenen Kollegen eine zentrale Rolle spielt (Senioritätsprinzip). Auch der autoritäre Führungsstil wird hier immer noch mehr gelebt als im Westen. Gleichzeitig werden aber auf den operativen Ebenen Entscheidungen gemeinschaftlich getroffen, um Konflikte zu vermeiden und ein harmonisches Umfeld zu schaffen. Dieser Ansatz fördert zwar das Teamgefühl, kann aber gleichzeitig die Entscheidungsfindung verzögern. In Ländern mit einer geringen Unsicherheitstoleranz wie Japan wird oft detailliert geplant, um zukünftige Unsicherheiten zu minimieren.
Ein traditioneller Aspekt der japanischen Arbeitskultur ist die hohe Bedeutung von Loyalität und langfristiger Bindung an den Arbeitgeber, die in Form von lebenslanger Beschäftigung zum Ausdruck kommt. Auch wenn dieses Modell heute seltener anzutreffen ist, bleiben viele Beschäftigte ihrem Unternehmen über Jahrzehnte hinweg treu, was tiefe, auf Vertrauen basierende Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Mitarbeitern fördert. Allerdings scheint diese Stabilität unter dem Druck globaler Wirtschaftsumbrüche und der Notwendigkeit flexibler Arbeitskräfte in Japan allmählich nachzulassen.
Spannend auch der Vergleich zwischen den USA und Europa. In den USA gelten ausgedehnte Arbeitszeiten als wesentlicher Aspekt der dortigen Berufskultur, die tendenziell stark auf individuelle Leistungen und Eigeninitiative setzt. Die amerikanische Gesellschaft verknüpft harte Arbeit oft direkt mit Erfolg, selbst wenn dadurch die persönliche Freizeit eingeschränkt wird. Viele US-Arbeitnehmer arbeiten regelmäßig über die standardmäßigen 40 Wochenstunden hinaus und haben im Vergleich zu ihren europäischen Kollegen deutlich weniger Urlaubstage.
In Europa wird hingegen mehr Wert auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Berufs- und Privatleben gelegt. So beträgt die Arbeitszeit in Frankreich zum Beispiel nur 35 Stunden pro Woche, und die Beschäftigten erhalten dort fünf Wochen Urlaub pro Jahr. Darüber hinaus bestehen in vielen Ländern Europas gesetzliche Regelungen, die Arbeitnehmer vor unerwünschten Kontakten zum Arbeitgeber außerhalb ihrer Arbeitszeit schützen. Dieser Ansatz stellt persönliche Freiräume und das Wohlbefinden der Arbeitnehmer in den Vordergrund.
Kulturelle Einflüsse
Während in den USA oft der Fokus darauf liegt, individuelle Höchstleistungen zu fördern und Wettbewerb als Antriebskraft zu nutzen, rückt Europa stärker die Balance zwischen Arbeit und Freizeit in den Vordergrund. Die Kultur des Zusammenhalts und der sozialen Verantwortung zeigt sich hier in Maßnahmen, die die Arbeitnehmerzufriedenheit priorisieren, etwa durch großzügige Urlaubsregelungen oder flexible Arbeitszeiten.
Darüber hinaus sind in europäischen Ländern Entscheidungsprozesse häufig von einem kooperativen Ansatz geprägt, bei dem flache Hierarchien und ein reger Austausch zwischen Führung und Belegschaft gefördert werden. Im Gegensatz dazu ist in den USA die Akzeptanz klarer Hierarchien oft höher, was eine direktere Führung und schnellere Entscheidungsfindung begünstigt.
Insgesamt verdeutlichen diese Unterschiede, wie stark nationale Werte die Gestaltung von Arbeitskulturen prägen. Sie beeinflussen nicht nur die Erwartungen an Führung und Autorität, sondern auch die Prioritäten, die in Bezug auf Mitarbeiterzufriedenheit und Unternehmensziele gesetzt werden. Als Headhunter ist man also gefordert, diese kulturellen Unterschiede zu berücksichtigen, in den Einstellungsprozess miteinzubeziehen, damit anhand eines dementsprechenden Kriterienkatalogs der bestmögliche Match erzielt werden kann.
Um auf die Eingangsfrage nach dem französischen Manager in einem japanischen Unternehmen zurückzukommen: Wahrscheinlich stellt sie sich in der Realität gar nicht, da die japanische Gesellschaft und Wirtschaft immer noch derart hermetisch ist, dass "Gaijins" (also Ausländer) in keine Führungspositionen gelangen. Carlos Ghosn als CEO bei Nissan sowie Howard Stringer als CEO von Sony mögen Ausnahmen sein – mit zweifelhaftem Erfolg wie man weiß.
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