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Roland Spitzegger

RICHTIGE PERSONALENTSCHEIDUNGEN

Der jüngst erfolgte Insolvenzantrag von KTM, ein Vorzeigebetrieb der noch 2022 Rekordumsätze verzeichnete, macht deutlich, wie schnell selbst ein stabiles Großunternehmen ins Wanken geraten kann. Fehlbesetzungen im Management, also letztlich die falschen Leute an Schlüsselpositionen, sind ein häufiger Grund dafür. Trennt man sich zu spät von ihnen, werden Probleme verschleppt und immer größer. Trennt man sich rechtzeitig, ist nicht einmal das der Weisheit letzter Schluss. Die Verzweiflung ist auch dann groß, schließlich entstehen einem Unternehmen schnell sechs-, wenn nicht gar siebenstellige Kosten, wenn sich der vermeintliche Hoffnungsträger als Flop erweist. Nicht nur, weil dann alle Ausgaben für die Personalsuche und -auswahl Fehlinvestitionen waren. Sondern auch, weil massive Folgekosten entstehen, wenn eine Schlüsselposition längere Zeit verwaist bleibt. Klar: nötige Entscheidungen werden nicht rechtzeitig getroffen oder umgesetzt. Und hat ein Unternehmen erst einmal Marktanteile verloren - weil neue Produkte nicht rechtzeitig auf den Markt kamen oder die Vertriebsmannschaft ineffektiv arbeitete -, kämpft es oft jahrelang mit den Konsequenzen. Ähnlich ist es, wenn nötige Umstrukturierungen oder Veränderungen der (Produktions-)Verfahren und Abläufe unterbleiben. Wie kann man diese fatalen Fehlentscheidungen vermeiden?

 

Die Chemie stimmte nicht – oder doch?

Besonders häufig kämpfen mit diesem Problem inhabergeführte Unternehmen. Sie haben meist eine sehr ausgeprägte Unternehmenskultur. In ihnen existiert eine Vielzahl von gemeinsamen (meist durch den Inhaber geprägte) Normen und Grundüberzeugungen, die sich in bestimmten Abläufen - zum Beispiel wie Entscheidungen getroffen werden oder die Alltagsarbeit strukturiert ist - niederschlagen. So zahlreich wie diese meist ungeschriebenen Regeln sind die Reibungspunkte, die sich im Alltag ergeben können, sofern der "Neue" nicht zum Unternehmen und seiner Kultur passt.

 

Ebenfalls häufig mit dem Problem konfrontiert sind Unternehmen, die sich klar am Markt positioniert haben und in denen sich aufgrund ihrer Spezialisierung oft über Jahre sehr enge Beziehungen zu den Kunden entwickelt haben. Auch hier gibt es meist sehr klare ungeschriebene Regeln, was der Einzelne zu tun oder zu lassen hat. Sei es, weil die Kundenbedürfnisse dies erfordern, sei es, dass sich bei den (Schlüssel-)Kunden im Laufe der Jahre eine bestimmte Erwartungshaltung an das Unternehmen und seine Mitarbeiter entwickelt hat. Entsprechend schwer fällt es "Fremden" oft, sich in dieses Beziehungsnetz zu integrieren.

Kein Wunder also, dass man bei der Analyse, warum ein "Neuer" in solchen Unternehmen scheiterte, meist registriert: Es lag nicht an seiner fachlichen Qualifikation. Im Gegenteil: Häufig gestehen alle Beteiligten ein, dass er "gute" Konzepte entwickelte, die "genau die Kernprobleme trafen". Aber beim Umsetzen tauchten "unüberwindbare Hindernisse" auf.

Fragt man "Warum?", so lautet die vage Antwort meist: "Die Chemie stimmte nicht." Anschließend beginnt in der Regel eine lange Anekdotenstunde. Zahllose Situationen werden geschildert, in denen der "Neue" etwas tat, was bei den "Etablierten" - seien es Kollegen, Vorgesetzte, (Schlüssel-)Kunden oder Lieferanten - zunächst auf ein Stirnrunzeln und dann auf Widerstand stieß. Sie sollen belegen, warum der "Neue" - wider alle Erwartungen - nicht der "Richtige" war, weshalb eine Trennung im gegenseitigen Einvernehmen unumgänglich war.

Doch sind solche Anekdoten Beweise dafür, dass der Neue nicht zum Unternehmen passte? Im Nachhinein kann diese Frage meist nicht eindeutig beantwortet werden, denn eine Führungskraft, die nötige Veränderungen durchsetzen möchte, erzeugt im Unternehmen (und bei Kunden) oft ähnliche Abwehrhaltungen wie eine Führungskraft, die "nicht zum Unternehmen passt". Ähnlich ist es, wenn der Neue noch nicht seinen Schreibtisch wieder geräumt hat, sondern noch im Unternehmen aktiv ist. Auch dann bedarf es, wenn sich Widerstand regt, meist genauer Analysen, um festzustellen, ob Kunden, Kollegen oder Mitarbeiter zum Beispiel gegen den Neuen opponieren, weil er von ihnen zu Recht fordert, sich von lieb gewonnenen (Gewohnheits-)Rechten und Verhaltensmustern zu verabschieden. Oder

weil er tatsächlich Verhaltensmuster zeigt oder Entscheidungen trifft, die den Erfordernissen des Unternehmens unangemessen sind. Das Verhalten des Umfelds lässt also keinen sicheren Rückschluss zu, ob der Neue wirklich nicht zum Unternehmen passt oder genau der Richtige ist, um endlich die erforderlichen Änderungen durchzusetzen.

 

Deshalb sollte bereits vor der Einstellung ermittelt werden, ob die Chemie stimmt. Darauf verzichten viele Unternehmen, weil der weiche Erfolgsfaktor "Stimmt die Chemie?" schwieriger zu überprüfen ist als die fachliche Qualifikation. Über die fachliche Qualifikation eines Bewerbers lässt sich anhand seiner Zeugnisse und der Herausforderungen, die er in seiner bisherigen beruflichen Laufbahn bewältigte, relativ leicht ein Urteil fällen. Anders ist dies bei Faktoren wie den Folgenden: Findet er einen Draht zu den Kollegen, Kunden oder Lieferanten, mit denen er zusammenarbeiten muss, oder den Mitarbeitern, die er führen soll? Kann er andere für nötige Veränderungen begeistern und sie als Mitstreiter gewinnen, ohne die Leistung seiner Vorgänger zu schmälern? Hat er das nötige Feeling für die "Notwendigkeiten" und "Empfindlichkeiten" im Haus, und bewahrt er trotzdem seinen eigenen Stil? Hinzu kommt: Für die fachliche Qualifikation lassen sich einfach Prüfkriterien definieren. Viel Zeit und Energie erfordert es aber herauszuarbeiten, unter welchen Voraussetzungen Unternehmen und Bewerber zusammenpassen. Doch die Mühe lohnt sich. Das beweist ein Blick auf die finanziellen Schäden, die entstehen, wenn sich ein Unternehmen nach wenigen Monaten wieder von einem Neuen, der eine Schlüsselposition besetzen sollte, trennen muss.

 

Eine Investition, die sich lohnt.

Deshalb kann der Appell an die Personalverantwortlichen nur lauten: Investieren Sie die nötige Zeit, um die erfolgskritischen Punkte zu ermitteln. Dieser Prozess beginnt beim Formulieren der Anforderungen an den Neuen. Bereits dieser Mühe unterziehen sich viele Unternehmen nicht. Ihr Credo lautet: Ist doch klar, was ein Vertriebs- oder Produktionsleiter tun und können muss. Entsprechend vage bleiben nicht nur die in den Stellenanzeigen beschriebenen Anforderungen, entsprechend oberflächlich wird im Auswahlverfahren auch abgeklopft, ob der Bewerber passt. Ein Check auf Herz und Nieren ist gar nicht möglich, weil das Unternehmen selbst nicht weiß, welches Wissen, Können und welche Erfahrung der künftige Stelleninhaber braucht. Noch seltener analysieren Unternehmen, welche Einstellung der Neue braucht, damit er das tun kann, was von ihm erwartet wird; welche Konflikte sich ergeben können, wenn er das tut, was er tun soll; mit wem Konflikte auftreten können. Entsprechend nebulös bleiben meist die sozialen, kommunikativen sowie personalen Anforderungen, die an den Neuen gestellt werden. In der Regel beschränken sie sich auf Floskeln wie "team- und konfliktfähig" sowie "entscheidungs- und umsetzungsstark". Nicht konkretisiert wird, in welchem Verhalten sich diese Fähigkeiten zeigen. Folglich kann auch nicht gecheckt werden, ob der Bewerber über diese Fähigkeiten verfügt. Viele Führungskräfte sind ja durchaus entscheidungsstark, wenn es um Sachentscheidungen geht. Schwer fallen ihnen aber alle Personalentscheidungen - insbesondere solche, die für Mitarbeiter negative Folgen haben. Ist hier im Vorfeld nicht klar definiert, worin sich die Entscheidungskraft zeigt und worauf sie sich bezieht, wird auch die Bewerberauswahl zum Lotteriespiel.

 

Nur selten überlegen sich Personalverantwortliche auch beim Formulieren der Anforderungen an künftige Stelleninhaber, wodurch sich der ideale Stelleninhaber von demjenigen Kandidaten, den man keinesfalls einstellen möchten, unterscheidet – und welche Anforderungen sich daraus ergeben. Ungenutzt bleiben auch die Chancen, die man hätte, würde man effizienter analysieren, was den vorherigen Stelleninhaber erfolgreich oder weniger erfolgreich macht, z.B. durch Interviews mit Personen, die mit ihm zusammenarbeiteten. Ist so ein Anforderungsprofil für den künftigen Stelleninhaber definiert, empfiehlt es sich, die einzelnen Anforderungen in einem Bewertungsschema aufzulisten. Anschließend könnte man in dem Schema für alle Anforderungen definieren, wie stark sie beim bestmöglichen Stelleninhaber und demjenigen, den Sie keinesfalls haben wollen, ausgeprägt sind. Dort, wo die Werte für den Besten und den Schlechtesten am weitesten auseinander klaffen, liegen die erfolgskritischen Fähigkeiten und Eigenschaften. So vorbereitet könnte man nicht nur das Anforderungsprofil an den künftigen Stelleninhaber viel schärfer formulieren, man hätte auch Entscheidungskriterien für dessen Auswahl zur Hand. Bewährt hat es sich auch, den Bewerber mit Personen, mit denen er künftig zusammenarbeiten müsste, arbeitsbezogene Themen, über die man kontroverser Auffassung sein kann, debattieren zu lassen. Eine hervorragende Methode, um Konfliktverhalten, Konsensbereitschaft und mehr oder weniger empathisches Durchsetzungsvermögen zu testen.

 

Soweit der kleine praxisnahe Teil-Exkurs in die hohe Kunst der richtigen Personalentscheidungen mit einem Fokus auf simple Mechanismen und Methoden, die aber oft in dieser ebenso breitgefächerten wie komplexen Materie übersehen werden. Eine Materie, die alle Akteure immer wieder vor große Herausforderungen stellt. Besonders in Zeiten wie diesen, aufgrund der geopolitisch angespannten Wirtschaftslage und vielschichtigen Paradigmen-Umbrüche.    

 

 

 

 

Gender-Disclaimer

Die auf dieser Website gewählte generisch-männliche Form bezieht sich immer auch auf weibliche, diverse und andere Personen.

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