Seit über 30 Jahren bin ich nun im Personalconsulting- und Recruiting-Business, davon die letzten 15 Jahre mit Spitzegger Consultants selbständig. Meine Arbeit betrifft die Arbeit sozusagen. Und die Beratungserfolge, die mir erfreulicherweise zuteil wurden hätte ich nicht gehabt, wenn ich mich nicht auch mit dem generischen Prinzip der Arbeit als solches auseinandergesetzt hätte. Und zwar immer wieder, denn wie so viele andere Dinge auch, ist die Arbeitswelt einem ständigen Wandel unterworfen. Natürlich kommt man dabei nicht am Sozialökonomen Marx vorbei, der meinte: "Die Arbeit ist kein Naturgesetz, sondern eine elende Notwendigkeit". Eine Feststellung, die ein übles Licht auf die damaligen Arbeitsbedingungen wirft. Bedingungen, die in unseren Breiten zum Glück der Vergangenheit angehören, die aber Platz machten für neues Unglückspotenzial, denn auch dieses hat ein dynamisches Wesen. Wandel also – geprägt durch bahnbrechende, teils sogar disruptive Technologien (R.I.P. gute alte Schreibmaschine!), innovative Ideen und transformative Konzepte. Eines dieser zukunftsweisenden Konzepte könnte das Prinzip des "New Work" sein. Noch so ein Schlagwort, denken Sie jetzt vielleicht. Das mag sein, vielleicht steckt dahinter aber tatsächlich mehr. Denn dieser Begriff und das ihm zugrundeliegende Paradigma könnten durchaus das Zeug haben, die Art und Weise, wie wir Arbeit betrachten und umsetzen, grundlegend zu revolutionieren. Hier ein kurzer Appetizer für eine vertiefte Auseinandersetzung mit diesem spannenden Thema.
Was ist New Work?
New Work ist eine Philosophie, die ursprünglich vom Sozialphilosophen Frithjof Bergmann konzipiert wurde. Es zielt darauf ab, die Arbeit stärker an den individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten des Menschen auszurichten. New Work steht für mehr Freiheit, Selbstbestimmung und Teilhabe in der Arbeitswelt. Das oberste Ziel ist es, Arbeit so zu gestalten, dass sie sinnstiftend ist und Freude bereitet – siehe dazu einen meiner vorangegangenen Blogs. Da erläutere ich, dass eher die Frage nach dem "Warum mache ich etwas?" statt nach dem "Was mache ich?" beantwortet werden muss, um mehr Sinn aus einer Tätigkeit zu schöpfen. Simon Sinek hat dazu einen legendären Ted Talk gehalten.
Die Prinzipien von New Work
New Work wird durch eine Reihe von Grundprinzipien charakterisiert.
Zunächst die Selbstbestimmung. Dabei wird als zielführend vorausgesetzt, dass Menschen mehr Kontrolle und Autonomie über ihre Arbeit haben. Es geht darum, den Einzelnen die Freiheit zu geben, ihre Fähigkeiten und Talente bestmöglich einzusetzen. Das Problem: Die meisten Jobs in Unternehmen sind nicht selbstbestimmt, sondern nach wie vor weisungsgebunden und in einen strikt durchgeplanten Arbeitsablauf integriert. Dieser Ablauf orientiert sich häufig noch an alten Strukturen, die nicht auf den veränderten Lebenswandel der Menschen und die technologischen Möglichkeiten Rücksicht nehmen. Diese "Entwicklungsresistenz" ist allerdings auf beiden Seiten des Spektrums zu finden: bei konservativ denkenden und agierenden Arbeitgebern ebenso wie bei so manchem Arbeitsnehmer, der sich die "Last" der neuen Möglichkeiten und der damit verknüpften Eigenverantwortung gar nicht erst aufbürden möchte.
Als zweiter Aspekt die Flexibilität in Bezug auf Arbeitszeiten und Arbeitsorte. Dies umfasst sowohl Remote-Arbeit als auch flexible Arbeitszeitmodelle. Ich erinnere mich noch gut an die Jahrtausendwende oder sogar die späten 90er, als "Telearbeit" erstmals als innovatives Konzept in aller Munde war – damals noch mehr Utopie als gelebte Wirklichkeit. Es ist beeindruckend zu sehen, was sich seither getan hat. Die Covid-Pandemie war dafür sicher ein zusätzlicher Beschleuniger und Gamechanger, hat im Zeitraffertempo verkrustete Strukturen aufgebrochen und aufgezeigt, dass vieles möglich ist, was zuvor als unmöglich galt (siehe meinen Blog zum Thema).
Dann die Kooperation: New Work unterstreicht die Bedeutung von Zusammenarbeit und Teamgeist. Es fördert eine Kultur der Transparenz und Offenheit. Auch das ein schönes Ideal, das immer öfter im Arbeitsalltag gelebt wird – nicht zuletzt aufgrund des Mindsets in den Köpfen neuer Generationen, die man fortlaufend mit fortlaufenden Buchstaben versieht (Y, Z...). "Ideal", weil es vielerorts noch immer an den harten realen Gegebenheiten zerbricht, wenn nicht sogar überhaupt an der menschlichen Natur als solcher (wie viel Wolf steckt ins uns und wie oft füttern wir ihn?).
Der Einfluss von Technologie auf New Work
Die technologischen Fortschritte haben das Konzept von New Work maßgeblich beeinflusst. Digitale Werkzeuge und Plattformen ermöglichen es den Menschen, flexibler und effizienter zu arbeiten. Sie sind eine der wichtigsten Voraussetzungen, die Remote-Arbeit, virtuelle Zusammenarbeit und den Zugang zu globalen Talenten (LinkedIn, Xing, Soziale Medien etc.) überhaupt erst ermöglichen. Aber: Technologien sind immer nur Werkzeuge, die richtig benutzt werden und in ein größeres Ganzes eingebettet werden müssen: Eine offene Unternehmenskultur und die Bereitschaft zum Teilen von Wissen; finanzielle Budgets und entsprechende notwendige Investitionen in die unternehmensgerechte Anpassung von Technologien; eine gestärkte Vertrauenskultur; den Einsatz von geeigneten Plattformen und deren Management; das Vorhandensein von Zielen und die Definition von passenden Prozessen; letztlich regelmäßiges Training und Updating.
Eine Studie des Forschungsinstituts Gallup aus dem Jahr 2020 zeigte, dass Mitarbeiter, die die Möglichkeit zur Telearbeit haben, eine um 35% höhere Arbeitszufriedenheit aufweisen – wen wunderts?
Vorteile und Herausforderungen
Daraus ergibt sich, dass New Work zahlreiche Vorteile sowohl für Unternehmen als auch für Arbeitnehmer bietet. Unternehmen können von einer erhöhten Produktivität, geringeren Betriebskosten und einer verbesserten Mitarbeiterbindung profitieren. Eine Studie von Nicholas Bloom, seines Zeichens Professor in Stanford, zeigte beispielsweise, dass Telearbeit die Produktivität um bis zu 13% steigern kann. Für Arbeitnehmer kann New Work mehr Autonomie, Zufriedenheit und Work-Life-Balance bedeuten.
Trotz der vielen Vorteile ist New Work nicht ohne Herausforderungen. Einige Kritiker weisen darauf hin, dass die ständige Verfügbarkeit und Flexibilität zu einer Vermischung von Arbeit und Privatleben führen und damit stressig und belastend sein kann. Eine Studie der Universität Grenoble aus dem Jahr 2022 hat ergeben, dass Arbeitnehmer, die in hohem Maße remote arbeiten, ein 15% höheres Risiko für Burnout haben. Eigenverantwortung und -management spielen da eine große Rolle (wie pflichtgetrieben bin ich bzw. muss ich sein?). Zudem besteht die Gefahr, dass die digitale Kluft zwischen denen, die Zugang zu Technologie haben, und denen, die diesen Zugang nicht haben, vertieft wird. Genau da lauert übrigens ein großer Missstand und der Kreis zum eingangs erwähnten Marx schließt sich – geht´s hier doch letztlich auch um "Produktionsmittel", die unterschiedlich und mitunter willkürlich verteilt sind und damit der Ungerechtigkeit in der Arbeitswelt Vorschub leisten.
New Work: Reale Zukunft, Utopie oder sogar Dystopie? Aus heutiger Sicht bietet das Konzept sicher eine spannende Perspektive für substantielle Transformationen in unserer Arbeitskultur. Gefordert sind jedenfalls von allen Akteuren Anpassungsfähigkeit, Offenheit für Veränderungen und ein aktiver Dialog. Wohin uns das führt, bleibt abzuwarten. Schließlich gilt auch im Arbeitsleben, was fürs Leben im Allgemeinen gilt: es muss nach vorne blickend gelebt, kann aber nur rückblickend verstanden werden.
Gender-Disclaimer
Die auf dieser Website gewählte generisch-männliche Form bezieht sich immer auch auf weibliche und diverse Personen.
Comentarios