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  • Roland Spitzegger

VIER GEWINNT?!




Neben dem rasanten Vormarsch der Künstlichen Intelligenz und dem mobilen Arbeiten ist die 4-Tage-Woche momentan das dritte große Thema, das in der Arbeitswelt keinen Stein auf dem anderen lässt und aus diesem Grund auch für den Bereich der HR von großer Relevanz ist.


Überraschend kommt das freilich nicht. Vielmehr ist es die konsequente Fortführung einer Entwicklung, die bereits Mitte der 70er Jahre mit der Einführung der 40-Stunden-Woche begann und Mitte der 80er Jahre mit der 38,5-Stunden-Woche für manche Branchen in einem zweiten Schritt umgesetzt wurde. Weniger ist also mehr lautet die Devise. Oder etwa doch nicht? Weltweit wurden und werden eine Vielzahl an Pilotprojekten ins Leben gerufen, um valide Daten zu generieren, die eine stabile Prognose ermöglichen könnten. In Deutschland beispielsweise hat die Unternehmensberatung Intraprenör gemeinsam mit der NGO 4 Day Week Global eine Feldstudie mit 45 Unternehmen initiiert, wobei die Uni Münster für die wissenschaftliche Sorgfalt verantwortlich zeichnet. Die einzige Vorgabe: 100 • 80 • 100. Also 100% Leistung • 80% Arbeitszeit • 100% Bezahlung. Ein besonderes Augenmerk wird auf die Arbeitsorganisation sowie die Arbeitszufriedenheit gelegt, wobei auch das Stressniveau – etwa durch die Messung von Schlafdaten freiwilliger Probanden – erfasst wird.

 

Einige Early Adopters haben das neue Arbeitszeitmodell bereits fix in ihrer Unternehmenskultur verankert. Was auffällt ist, dass einige Branchen wie etwa Tech und IT besonders experimentierfreudig sind. Die Ausprägungen des Modells sind aber vielfältig. Einige haben eine 30-Stunden-Woche, wobei jeder Mitarbeiter von Woche zu Woche entscheiden kann, ob er auf vier oder fünf Tage verteilt arbeiten möchte. Der freie Tag in einer 4-Tage-Woche ist entweder der Montag oder der Freitag. Andere haben eine 36-Stunden-Woche, die sich aus 4 Tagen zu je 9 Stunden zusammensetzt. Und wieder andere setzen auf das „Fair Use”-Prinzip, bei dem der Freitag ein Kann-Arbeitstag ist, je nachdem was die verantwortungsvolle Zielerreichungs-Selbstevaluierung am Donnerstag Abend ergibt.

 

Die Vorteile


Bessere Work-Life-Balance. Die Einführung einer 4-Tage-Woche ermöglicht es den Mitarbeitern, mehr Freizeit zu genießen und ihre persönlichen Verpflichtungen besser zu bewältigen. Dies führt zu einer verbesserten Work-Life-Balance, was wiederum die Arbeitszufriedenheit und das Wohlbefinden der Mitarbeiter steigert. Zufriedene Mitarbeiter sind produktiver, engagierter und weniger anfällig für Burnout.

 

Attraktivität als Arbeitgeber. Unternehmen, die die 4-Tage-Woche anbieten, heben sich als attraktive Arbeitgeber hervor und können dies in ihrer Employer Branding-Strategie gewinnbringend nutzen. Das hat einen Wettbewerbsvorteil in der Personalsuche zur Folge, der angesichts eines verschärften, pandemiebedingten Arbeitnehmermarkts unabdingbar ist. Potenzielle Bewerber werden von der Möglichkeit angezogen, mehr Zeit für sich selbst und ihre Familien zu haben, ohne auf berufliche Chancen zu verzichten. Eine solche Arbeitskultur kann das Interesse hochqualifizierter Talente wecken und die Rekrutierung erleichtern. Aber auch auf die Mitarbeiterbindung hat das neue Arbeitsmodell positive Auswirkungen. Klar: wer sich in seinem Unternehmen wohlfühlt, bleibt eher als jemand, der nicht zufrieden ist. Manche Unternehmen sprechen von einer Fluktuations-Senkung von rund 60%. Gleichzeitig werden zufriedene Mitarbeiter viel eher zu Markenbotschaftern und die Potenziale der Mundpropaganda und der positiven Weiterempfehlung können voll ausgeschöpft werden.

 

Steigerung der Produktivität. Obwohl es zunächst paradox erscheinen mag, kann eine verkürzte Arbeitswoche tatsächlich die Produktivität steigern. Die Mitarbeiter sind in der Regel motivierter, ihre Aufgaben in kürzerer Zeit zu erledigen, um den zusätzlichen freien Tag zu genießen. Dies kann zu einer effizienteren Arbeitsweise führen und die Gesamtarbeitsleistung verbessern.

 

Führung als essentielle Schnittstelle


Die 4-Tage-Woche ist ein fundamentaler Einschnitt in die Arbeitsorganisation, der über die gesamten Hierarchie-Ebenen hinweg unterstützt werden muss. Eine andere, modernere Form von Management und Mitarbeiterführung ist gefragt. Führungskräfte sollten mit gutem Beispiel vorangehen und die neue Zeitregelung in der Praxis vorleben. Nur dann können die Mitarbeiter ihre zusätzlichen Freiheiten wie geplant zur Erholung nutzen, ohne das Gefühl zu haben, jederzeit erreichbar und einsatzbereit sein zu müssen. Führungskräfte sollten sich dafür eng untereinander absprechen und Verantwortlichkeiten gegebenenfalls teilen. Dies hat den positiven Nebeneffekt, dass Silostrukturen abgebaut werden und anstelle von abteilungs- somit unternehmensfreundliches Zusammenarbeiten stattfindet. Dadurch wird eine einheitliche Wertekultur vorangetrieben, die direkt in die Mitarbeiterbindung einzahlt. Soft-Skills sind in diesem Arbeitszeitmodell von besonderer Bedeutung – ohne Vertrauen und transparente Kommunikation läuft gar nichts.


Die Herausforderungen


Auch wenn das Modell der 4-Tage-Woche auf den ersten Blick mit positiven Argumenten überwiegen mag, bringt es dennoch eine Reihe an Nachteilen mit sich. Ein wesentlicher ist die Notwendigkeit, die gleiche Arbeitslast in weniger Tagen zu bewältigen.

Anfangs stellen es sich viele Mitarbeiter deutlich einfacher vor, zehn Stunden am Tag zu arbeiten. Was passiert allerdings, wenn Überstunden notwendig werden und aus den zehn Stunden auch mal elf oder zwölf werden? Vor allem Mitarbeiter mit kleinen Kindern haben es dementsprechend schwieriger, eine Betreuungsstätte über einen solch langen Zeitraum zu finden. Des Weiteren ist bewiesen, dass die Konzentrationsfähigkeit des Menschen nach fünf bis sechs Stunden am Tag sinkt. Kann die Produktivität der Mitarbeiter demnach wirklich steigen, wenn die Arbeitszeit von acht auf zehn Stunden aufgestockt wird? Ein weiteres Gegenargument ist, dass sich der Urlaubsanspruch bei einer 4-Tage-Woche von 20 auf 16 Urlaubstage im Jahr reduziert. Die Anzahl der Urlaubstage ergibt sich aus den Arbeitstagen pro Woche, wenn der Mitarbeiter vier Wochen im Jahr Urlaub machen darf.

 

Was man noch bedenken sollte: man kann nicht alle Unternehmen so leicht über einen Kamm scheren. Das 4-Tages-Modell eignet sich für manche Branchen besser als für andere, die auf kontinuierliche Geschäftsabläufe angewiesen sind. Kundenbetreuung, Fertigung oder andere zeitkritische Prozesse könnten beeinträchtigt werden, was letztendlich die Kundenzufriedenheit und den Geschäftsbetrieb gefährdet.

 

In manchen Fällen kann es sein, dass das 4-Tage-Modell trotz aller Bemühungen keine positiven Auswirkungen auf das Unternehmen hat. Dann gilt es den Mitarbeitern transparent aufzuzeigen, warum die neue Arbeitsform derzeit (noch) nicht umgesetzt werden kann – hierbei sind insbesondere die HR-Abteilungen gefragt. Im Dialog mit der Belegschaft lassen sich vielleicht andere flexible Arbeitsmodelle evaluieren, beispielsweise fünf kürzere Arbeitstage, Mischformen aus langen und kurzen Arbeitstagen oder verstärkte Möglichkeiten des Überstundenausgleichs durch Freizeit.

 

Schweden, Island, Spanien, Belgien: Die Liste der Länder, welche die 4-Tage-Woche für sich erproben, wird immer länger. Ob und wie schnell sich dieser Trend in Deutschland und Österreich durchsetzt, ist bislang jedoch nicht absehbar. Fest steht allerdings: Produktive Hochphasen besser nutzen, um mehr Freizeit gewinnen zu können, ist für viele Arbeitnehmer kein Wunschtraum mehr, sondern gehört fest zu ihrer Lebensqualität. Unternehmen jeder Größe werden sich auf lange Sicht diesen neuen Bedürfnissen ihrer Belegschaft zuwenden müssen.

 

So, es ist nun Freitag 17:30. Zeit für mich, um ins Wochenende zu gehen. Wenn da nicht noch so manche unerledigte Dinge auf mich lauern würden. Ist wieder eine 5-Tages-Woche für mich geworden. Ich sollte wohl die Ratschläge aus früheren Blogs beherzigen und statt „Selbst“ und „Ständig“ zu arbeiten von der jungen Generation lernen – und meiner Work/Life-Balance mehr einen Drall Richtung "Life" geben. Aber ich arbeite hart daran weniger zu arbeiten, versprochen!

 

 

 

 Gender-Disclaimer

Die auf dieser Website gewählte generisch-männliche Form bezieht sich immer auch auf weibliche und diverse Personen.

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